April 16, 2007

Kino: SUNSHINE

Sie sind so nah an diesem hellsten und gleichzeitig glühenden Punkt angekommen wie niemand vor ihnen, die Astronauten und Wissenschaftler einer ebenso gewagten wie spekta- kulären Sonnenmission. Doch die Kraft assoziierende Licht- und Wärmeflut täuscht – der lebenswichtige Stern befindet sich in einem denkbar schlechten Zustand und bedroht die Erde mit dem Verlust seiner Energie. Nun soll eine überdimensionale Bombe entgegenwirken: Das Rettungsteam muss sie in die Sonne befördern und hofft, dass die Detonation einen reanimierenden Glüheffekt ausüben wird. Doch die Aktion verläuft unplanmäßig, ein zuvor entsandtes Schiff mit Namen "Icarus I" und Crew befindet sich ebenfalls in Reichweite. Und nicht nur dort hat die enervierende Wirkung der Sonne bereits Spuren hinterlassen – die Expedition entwickelt sich mehr und mehr zu einem unheilvollen Trip, bei dem es bald um Leben und Tod gehen wird.

Obwohl die Wissenschaft davon ausgeht, dass die Sonne über Brennstoff für noch mindestens fünf Milliarden Jahre verfügt, zeichnet der "28 Days Later"-Regisseur Danny Boyle in "Sunshine" ein gefahrenvolles Bild vom drohenden Ende der Menschheit. Der Griff nach der Sonne als sinnliche Grenzüberschreitung ist dabei nur eines der Motive dieser Weltraumodyssee. Den Ikarus-Mythos bemüht der Film nämlich gleich in vielfacher Hinsicht. Wenn die Sonne den Menschen in ein geistiges Labyrinth aus verzerrter Wahr- nehmung und Infragestellung des eigenen Ichs zwängt, erinnert das natürlich unweigerlich an den im Reich des Minotaurus festgehaltenen Griechen. Das gleichnamige Schiff, auf das die Crew bei ihrer Mission stößt, wirkt da wie eine reflexive Spiegelung seiner selbst: An Board befindet sich ein durch die Sonne zersetztes Mitglied, das zum Monstrum mutiert scheint und die Besatzung der Rettungsmission attackiert.

In dieser an den klassischen Melting Man alter Science Fiction-Abenteuer erinnernden Figur vereinen sich nicht nur die Angst vor dem Fremden, sondern ebenso auch die Furcht davor, seine eigene dunkle Seite zum Vorschein – oder treffender: ans Licht – zu bringen. Der mythologische Überbau des ganzen ist offensichtlich: So wie Ikarus bei seiner Flucht mit den angehefteten Flügeln an seinem Übermut scheiterte und durch die glühende Kraft der Sonne ums Leben kam, stoßen auch die Mitglieder der Rettungscrew an natürliche Grenzen, bei denen selbst ihre technischen Errungenschaften von High Tech-Raumschiffen bis zu goldenen Panzeranzügen zunächst nicht mehr viel ausrichten können.

Dass die Reise in fremde Welten vor allem auch eine Metapher für die Reise ins Ich darstellt, ist im Genre keine besonders neue Erkenntnis. "Sunshine" begibt seine All-Eroberer jedoch auf einen beklemmend klaustrophobischen wie sinnlich-erlebbaren Trip in deren innere Abgründe. Der Konflikt, geschürt aus dem äußeren Druck, die Mission nicht erfolgreich durch- und damit die Rettung der Erde herbeiführen zu können, und der inneren Notwendigkeit, sein Selbstwesen erkunden zu müssen, wird mithilfe einer betö- renden visuellen Bildgestaltung auf die Leinwand projiziert. Unter Einsatz einer pulsierenden Musik des britischen Elektro-Duos Underworld wird das Vordringen in Grenzbereiche auch für den Zuschauer zu einer audiovisuellen Erfahrung, die sich weniger einer Ausformulierung ihres veritablen conditio humana-Ansatzes, denn der möglichst unnarrativen Darstellung einer Raum und Zeit auflösenden Weltraumreise verschreibt.

Deshalb versteht sich "Sunshine" kaum als konventionelles Genrekino, dafür entwickeln sich seine Figuren zu dürftig, erarbeitet er keine dramaturgische Dichte und auch keinen erkennbaren Spannungsbogen. Boyles Inszenierung ist vielmehr auf eine eigene Stilistik der Science Fiction angelegt. Deshalb auch täuscht die Nähe zu Kubricks "2001: A Space Odyssey". Zwar beschäftigt sich der Film aufgrund seiner identischen philosophischen Utopie einer Welt ohne Menschen mit evolutionären Fragen nach Beschaffenheit und Wesen desselbigen, allerdings siedelt Boyle diese Ausei- nandersetzung nur auf einer sehr dünnen Ebene an und bekräftigt das auch mit einem etwas unbefriedigenden Ende, das keine weiteren Fragen aufwirft, sondern jene zuvor buchstäblich in den Raum geworfenen Thesen sogar geradezu ignoriert.

Denn wo Kubrick letztlich eine pessimistische Vision mensch- licher Unterwerfung entwirft oder Ridley Scott den Zuschauer mit "Alien", an den der Film nicht nur in Bezug auf sein Produktionsdesign, sondern auch in den Monstersequenzen erinnert, einer sublimierten Fremdheit (in Form sexueller Triebe) gegenüberstellt, verharrt Boyle zu sehr in seinen Ansätzen – das Ende erscheint konventionell und daher unpassend. Zuweilen erfüllt die wörtlich zu nehmende Blendwirkung in "Sunshine" aber dennoch ihren Zweck: Als bestechend verführerisches und im selben Moment auch rudimentäres Kinoerlebnis widersteht man der Sogwirkung dieses Films gern. Zumindest vorläufig.


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- erschienen bei Wicked-Vision.de