März 01, 2007

Kino: FREEDOM WRITERS

Schon wenn der wenig dezente Hinweis, die folgende Geschichte basiere auf "wahren Begebenheiten", den Film einleitet, durchfröstelt ein natürlicher Schauer das Sitzfleisch. Hillary Swank aber steht ja irgendwie für Qualitätsware Marke Oscargewinnerin, deshalb kann der Film so schlimm eigentlich nicht werden – auch wenn er den bescheuerten Titel "Freedom Writers" trägt. Aber das erste Gefühl war wohl Intuition, und die Befürchtungen bewahrheiten sich schneller als einem lieb ist: Lehrerin kommt an Ghettoschule, kämpft sich aufs Niveau ihrer verzogenen Gören herunter und nimmt sie schließlich an die Hand, um die wahre Schönheit der doch gar nicht so aussichtlosen Welt zu entdecken. Der obligatorische Wettbewerb (=Finale) wird hier leicht variiert, obwohl die Kids dennoch jegliche genreübliche Lebensprüfungen bestehen müssen. Am Ende – sofern man dieses noch im geistesgegenwärtigen Zustand erleben sollte – verdrängen Läuterung und Einsicht die bittere Verbissenheit der Multikulti-Kids.

Wer "Dangerous Minds" verlogen fand, sollte diesen Post-Post-Vertreter der großen Highschool Drama-Welle erst recht tunlichst meiden. Letztes Jahr noch sorgte Antonio Banderas in der Biedermeierschnulze "Dance" für leere Kinosäle, obwohl seine Allerweltsparabel immerhin komödiantische Qualitäten aufwies – unfreiwillig zwar, aber was soll’s. Das ganz grundsätzliche Problem dieser Filme ist gar nicht mal die ätzende Klischeekiste, mit der sie auf soziale Gegenwartsprobleme humanistische Kinoantworten abfeuern. Viel mehr bleibt die Frage, warum die Produzenten solch klebrigen Mülls nicht endlich einmal verstehen, dass das Publikum ihnen das ohnehin nicht abkauft – und auch nie getan hat. Dass das Erbe von einstigen Grundsteinen wie "Die Feuerzangenbowle" nicht zu bewerkstelligen ist, muss doch irgendwann eingesehen werden: Der Blick in die abendlichen Nachrichten genügt, um sicherzugehen wie weltfremd diese Lehrer-Schüler-Geschichten erscheinen.

Filme wie "Freedom Writers" sind nicht naiv, sondern kalkuliert. Als wüsste Regisseur und Drehbuchautor Richard LaGravenese nicht ganz genau, dass keine Lehrerin dieser Welt sich in ein Klassenzimmer samt vorbestrafter Problemkids stellen und imitierte Tupac-Reime aufsagen würde, um die Meute von ihren aggressiven Gedanken zu befreien. Swank gibt sich die Mühe, die unglaubwürdige Figur mit Überzeugungskraft auszustatten, scheitert aber an den gängigen Klischees. Wenn sie mit Stift und Kreide eine Trennlinie durchs Klassenzimmer zieht, um die rivalisierenden Gruppen gegenüberzustellen, schlägt der Film sogar groteske Bahnen ein - fehlt nur noch das Motto: „Zeig Gesicht gegen Rassismus!“. Die Profile der Schülerfiguren könnten schematischer nicht sein, Probleme werden vereinfacht, um innerhalb des 90minütigen Zeitrahmens auch gelöst zu werden. Selbst Swanks Figur bewegt sich beständig an der Oberfläche, ihre privaten Einsichten bleiben schrecklich beliebig und nichts sagend.

Da diese Filme auch immer ein inhaltliches Ziel formulieren müssen, führt es die Kids auf dem Weg zur Selbsterkenntnis gar zum Holocaust. Das ist sogar noch schlimmer als es klingt: Nicht ein simples Konzert, eine doofe Bühnenaufführung oder irgendwie anders geartetes Event muss gemeistert werden, sondern die Kids entdecken den Schrecken der Geschichte. "Freedom Writers" lehnt sich dabei so weit aus dem Fenster, dass der Zuschauer den Fall angesichts seiner drohenden Bewusstlosigkeit nicht mehr miterleben dürfte. Tatsächlich geht es darum, dass die Schüler ihre eigenen Probleme mithilfe der historischen Bewältigung des Dritten Reichs kompensieren und schließlich lösen. Das meint der Film übrigens todernst: Von einem Tag auf den anderen verwandeln sich die kauzigen Gangster mit losem Mundwerk in aufgeschlossene Projektbegeisterte – inklusive feuchten Augen beim Museumsbesuch.

Wenn die Problemkids dann Knarre gegen Schreibblock eintauschen, mischt sich natürlich auch quietschende Orchestermusik unter das Geschehen – deren Einsatz kann man fast auf die Sekunde genau vorhersagen (ja, man entwickelt anderweitige Beschäftigungen während des ganzen). Komisch wird’s dann, wenn Holocaustüberlebende die Schule besuchen und die aufdringliche Musik sich nicht zu schade ist, jene klagenden Violinen aus "Schindler’s List" aufzugreifen. Unglaublich, aber wahr! Die Geschichte basiert schließlich auf Tatsachen, ganz ohne Modulation – so und nicht anders wird es sich wohl zugetragen haben. Da kann man nur Empfehlungen nach Berlin senden: Die Rütli-Schule sollte demnächst Sonderausflüge in Gruppen veranstalten, um sich "Freedom Writers" im Kino anzusehen! Ansonsten bleibt der ernst gemeinte Rat, dieses grauenhafte Gut- menschendrama zu ignorieren.

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