Januar 23, 2007

Kino: PARIS, JE T'AIME

Wenn turtelnde Liebespaare die Seine entlang streifen, sich am Quai Saint-Bernard schöne Augen machen oder sich direkt auf dem Tour Montparnasse das Ja-Wort geben, dann fühlt man sich schnell in eine romantische Fantasie versetzt, die zahlreiche Liebesfilme und –Komödien evozieren. Dass Paris längst nicht mehr als heimlicher Hauptdarsteller in Klassikern von "Funny Face" bis "Belle de jour" erscheint, ist kein Geheimnis: Quer durch die Filmgeschichte musste die Stadt der Liebe als süßlich schillernder Rahmen für romantische Kinovisionen herhalten – und avancierte somit alsbald zum eigenen Klischee. Warum also noch im Jahre 2006 eine Hommage an Frankreichs Herz verfassen, die fragmentarisch und überaus ausgedehnt den Facettenreichtum des vielseitigen Paris feiert?

Die Antwort fiele nicht allzu schwer, wäre die Idee, 21 internationale Starregisseure ihr ganz individuelles Leinwandgemälde der Stadt zu erschaffen, gebündelt in 18 kleine Episoden und geschnürt in ein lebendiges Korsett, das trotz der vielfältigen Eindrücke ein großes Ganzes ergeben könnte, nicht so simpel wie dennoch überaus reizvoll. Ernüchternd muss man zwar konstatieren, dass "Paris, je t’aime" an seinem eigenen Anspruch scheitert und als Gesamtwerk zu beliebig und verwechselbar formuliert scheint. Das gelingt dem auf einer Idee des Regisseurs Tristan Carné basierenden Film aber auf recht hohem Niveau: Die überwiegende Mehrheit der kurzen Geschichten liefert mal skurrile, mal charmante Einsichten in banale, aber liebenswürdige Alltagsmomente und trägt dabei dennoch die ganz individuelle Handschrift ihrer Macher.

Das ist nicht selbstverständlich, immerhin verträgt sich die Intention der französischen Produzenten um Claudie Ossard ("Delicatessen"), die selbst bekennend einräumen, ein neues altes Bild ihrer Stadt entwerfen zu wollen, nicht zwingend mit den ganz eigenen Statements der Regisseure, denen bis auf den gemeinsam vorgegebenen Nenner – natürlich: Liebe – keine künstlerischen Einschränkungen auferlegt wurden. Da der Film jedoch mit einem europäischen Team inszeniert ist, sich von Alfonso Cuarón ("Children of Men") bis Walter Salles ("The Motorcycle Diaries") also jeder ohne seine sonstigen Mitarbeiter zurechtfinden musste, wird diesem Wunsch formal nachgekommen: "Paris, je t’aime" erstrahlt trotz seiner unterschiedlichen Regiestile in einem eleganten, stimmigen Bild.

Den Rahmen ihrer Möglichkeiten haben dabei besonders Joel & Ethan Coen ("Fargo"), Wes Craven ("The Hills Have Eyes") und Vincenzo Natali ("Cube") eindrucksvoll genutzt. Erstere dekonstruieren in ihrem scharfzüngigen Beitrag „Tuileries“ das ewige Klischee vom Paris der Verliebten und Glücklichen, indem sie einen unschuldigen Touristen (Steve Buscemi) in der Pariser Metro auf ein erst schmusendes, später jedoch hemmungslos cholerisches Pärchen treffen lassen. In „Père Lachaise“ darf Horroraltmeister Craven zwei Verlobte über ihre Beziehung schwadronieren lassen – auf einem alten Friedhof! Und Natali verneigt sich im kühlen Gotikambiente vor den großen Universal-Klassikern, wenn er den ängstlichen Elijah Wood im nächtlichen Paris auf einen blutdurstigen Vampir treffen lässt. Sicherlich die originellste Version der Liebe: Ein schmerzhaft-lustvoller Biss für die Ewigkeit.

Nach zwei munteren Stunden ist der Vortrag dann auch wieder beendet. Die betonte Leichtigkeit und französische Mentalität erfüllt ein sinnliches Intermezzo, das in seiner selbstgefälligen und oberflächlichen Erscheinung nicht verwundert. Wie könnte es anders sein, dass "Paris, je t’aime" seinen Hauptdarsteller hoffnungslos romantisiert und den kritischen Blick insgesamt vehement verwehrt. Das mildert die frische Unschuld, die viele dieser Kurzfilme auszeichnet, alles andere als erheblich, doch in der Summe möchte mit dieser Anthologie niemand neue Erkenntnisse gewinnen: Denn dass der Blick von außen keine Erneuerung des Paris-Bildes bedeutet und auch nicht mit der Postkartenidylle der Stadt bricht, ist keine Überraschung: Paris liebt in erster Linie sich selbst. Besonders im modernen französischen Film.


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